
Das Gitter der Freiheit
Rita ist doppelt gefangen, sowohl in ihrem Körper als auch in ihrem sozialen Umfeld, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.
Es gefiel ihr nicht. Überhaupt nicht. Alle Türen fest verschlossen und verriegelt. Vorbeiziehende Passanten im gewohnten, immer gleichen Trott. Alle gehen zur Arbeit, alle kommen wieder zurück, und doch ist jeder für sich allein. Es nieselte.
Zwei Regenschirme liefen an ihr vorbei.
Die Müllabfuhr war heute wieder pünktlich. Und da kam auch schon Joachim von schräg gegenüber. Er öffnete sein Garagentor, wie jeden Donnerstag um halb acht. Sie stöhnte kaum hörbar.
Rita brauchte gar nicht mehr hinschauen, denn sie wusste was passieren würde: In seinem schiefergrauen Anorak würde sich der Rentner vergewissern, dass die unbrauchbaren Schätze seiner Garage an ihrem rechtmäßig zugewiesenen Platz standen. Jeden Gegenstand würde er genauestens inspizieren, kurz in die Hand nehmen und wieder in das hölzerne Regal stellen. Immer das gleiche hier
, grummelte sie. Nichts konnte sie heute aufheitern. Einzig das blaue Gesicht rang ihr ein müdes Lächeln ab.
Joachim schloss die Garage wieder zu und entfernte sich langsam. Seine beiden Wellensittiche warteten bestimmt schon auf ihn. Währenddessen ging Rita wieder ihren trüben Gedanken nach. Warum musste sie nur ihr Dasein als beschissenes Gitter fristen? Wollte sie doch eigentlich das Gegenteil ihres Erscheinungsbildes sein: Eine einfache, schlichte Brücke! Das wäre schön! Wie viele hunderte Passanten liefen täglich an ihr vorbei? Wenn es nach ihr ginge, sollten die Passanten die von Rita gezogene Grenze nicht als gegeben hinnehmen. Nein! Ganz im Gegenteil! Sie sollten Rita endlich als Gitter der Freiheit begreifen und ihre spitzen Stäbe aus Metall als Herausforderungen betrachten und sich darüber hinwegsetzen – ein für alle Mal!
Ein lautes Poltern ließ sie jäh zusammenzucken. Die gelbe Biotonne wurde gerade in ihr feuerverzinktes Mülltonnenhäuschen geschoben. Und da kam auch schon Joachim von schräg gegenüber. Er öffnete seine Garage, wie jeden Donnerstag pünktlich um halb acht. Sie stöhnte kaum hörbar.